„A Gschwollener spürt ka Watschn!“

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Im Sommer erholte sich Gerald Pichowetz in der Steiermark. Bild: Privat.
Im Sommer erholte sich Gerald Pichowetz in der Steiermark. Bild: Privat.

2020 ist für uns alle ein außergewöhnliches Jahr. Für Gerald Pichowetz ganz besonders: In einer Not-OP stand sein Leben auf der Kippe, vor wenigen Wochen verstarb seine Mutter und das Gloria Theater leidet unter den Corona-Lockdowns. Darüber und über die Wien-Wahl und den Terror-Anschlag in der Innenstadt zieht der Floridsdorfer Theater-Direktor im Gespräch mit DFZ-Chefredakteur Hannes Neumayer Bilanz.

Als Anfang März der erste Lockdown verhängt wurde warst Du gerade im Krankenhaus Nord am OP-Tisch.

Gerald Pichowetz: Ich bin am 9.März eingerückt und am 10. März war die Operation. Nach der Aufwachphase habe ich erfahren, dass alles zu ist.

Man hat dann lange nichts von Dir gehört. Stand es so sehr auf der Kippe?

Es war so ernst. Ich hatte bereits Direktiven erstellt. Zunächst ging eigentlich alles problemlos, ich war schnell aus der Intensivstation draußen. Einen Tag vor dem Nachhausegehen bekam ich innere Blutungen und ein Organ-Versagen und hatte eine Not-Operation, die mich bis 30. April ans Spital gefesselt hat. In der Reha war die Erkenntnis, dass der Genesungsprozess ein wesentlich langfristigerer ist, als du selber glaubst.

Hattest Du Zweifel oder Angst, dass nicht alles gut geht?

Ich bin in meinem Beruf ja dazu gezwungen, ein unverbesserlicher Optimist zu sein. Pessimismus hat in dem Geschäft nicht sehr viel Überlebenschance. Der Pessimist ist jemand der Gürtel und Hosenträger trägt – der Optimist trägt weder Gürtel noch Hosenträger.

„2020 war sicher ein spezielles Jahr. ‘Es kann nur besser’ werden ist aber ein gefährlicher Spruch.  Ich hoffe, dass man eine Lösung für Corona findet und die Unruhe und die Angst bei den Menschen wieder vergeht.“

Gerald Pichowetz.

Wie geht es Dir heute?

Ich habe noch nicht den Stand, den ich selbst gerne hätte. Ich habe noch immer Wassereinlagerungen und die Wunden der Operation schmerzen natürlich noch immer. Das kann man aber nur Aussitzen. In Wien sagt man: A Gschwollener spürt ka Watschn! (lacht)

Dennoch wolltest Du ab 7. November wieder auf der Bühne stehen …

Das hat man durch die Zwangsschließung wieder verhindert. Aber es gibt böse Zungen, die behaupten, ich sollte aufhören. Ich hätte auch nix dagegen: Wenn mir wer monatlich ein Geld überweist, höre ich sofort auf. Aber das spielt’s halt nicht.

Ist die Wahrheit nicht: Die Leute wollen den Pichowetz auf der Bühne sehen?

Sagen wir so: Es ist schon dienlich. Es hat ein bisschen den Touch: Gehen wir Pichowetz schauen. Du darfst nicht vergessen: Nächstes Jahr sind es 40 Jahre, die ich in Floridsdorf Theater spiele: Zuerst auf der Bühne 21, jetzt schon 20 Jahre im Gloria Theater.

Plangemäß steht im Gloria Theater - sollte der Lockdown enden - ‘Drei Männer im Schnee’ mit Fälbl, Pichowetz und Steppan am Programm. Infos: Gloria Theater, Prager  Straße 9, 1210 Wien; Telefon 01 278 54 04; www.gloriatheater.at Bild: Gloria Theater.
Plangemäß steht im Gloria Theater – sollte der Lockdown enden – ‘Drei Männer im Schnee’ mit Fälbl, Pichowetz und Steppan am Programm. Infos: Gloria Theater, Prager Straße 9, 1210 Wien; Telefon 01 278 54 04; www.gloriatheater.at Bild: Gloria Theater.

Das Gloria Theater musste jetzt zum zweiten Mal schließen. Kann das wirtschaftlich gutgehen?

Der Umsatzverlust ist haarsträubend. Wir müssen im Jahr circa 1,5 Millionen einspielen. 550.000 Euro gibt es Förderung, bleibt also 950.000 bis eine Million. Derzeit haben wir einen Verlust von 770.000 Euro. Jetzt fällt auch der November aus und dass wir im Dezember wieder spielen können, ist auch nicht gesichert. Und vielleicht kommt im Februar der nächste Lockdown. Es wird mittelfristig ohne Hilfe der öffentlichen Hand kein Theater mehr in Floridsdorf geben!
Außerdem: Viele Menschen haben derzeit auch Angst ins Theater zu gehen, warten lieber, bis der Zirkus vorbei ist.

Was Covid-19 betrifft bist Du einerseits Risikogruppe andererseits wirtschaftlich ein betroffenes Opfer. Wie siehst Du die aktuelle Situation?

Der aktuelle Lockdown ist sicher darauf zurückzuführen, dass das Wort Eigenverantwortung eine Definition braucht, die die Leute verstehen. Nur ein Vokabel in den Äther zu schleudern, ist zu wenig. Die meisten verstehen es offenkundig nicht, was es heißt, Eigenverantwortung zu haben.

Die Wahrheit ist, dass man den Sommer verschlafen hat und sich gedacht hat ‘klass, die Zahlen sinken, das wird eh alles besser und das Virus verschwindet von selbst’. Man hätte schon die Reisewelle verbieten müssen. Ich habe nicht verstanden, warum alle ans Meer fahren müssen.

Ob es sinnhaft ist, jetzt wieder Kulturbetriebe zu schließen und Restaurants zu sagen, ‘nein, ihr dürft’s nicht aufmachen’, kann ich nicht beurteilen. Ich bin ja kein Fachmann. Es weiß niemand, welche Spätfolgen aus dieser Krankheit resultieren.

Es gibt auch Corona-Skeptiker und Leugner bzw. viele Verschwörungstheorien …

Das Verarbeiten von Informationen, ist auch eine Frage der Intelligenz! Soll heißen: Depperte gibt’s überall. Es gab eine Supermarktkette, die mit dem Hausverstand geworben hat, der dürfte bereits ausverkauft sein.

Im Oktober hatten wir dann eine Wien-Wahl, die ein – vor eineinhalb Jahren noch nicht erwartbares – Revival für die SPÖ
gebracht hat: auch überrascht?

Es ist zumindest rausgekommen, dass Michael Ludwig als Bürgermeisterkandidat der SPÖ die richtige Wahl war. Er war bei der Wahl auch alternativlos. Das Abschneiden der SPÖ hat einen Zuwachs, weil es Ludwig gelungen ist, die SPÖ auch wieder zu einen. Es herrscht zumindest Ruhe. Ob das so bleibt, steht auf einem anderen Blatt Papier.

„Der wahre SPÖ-Politiker ist ja heute ein Jungspund, der sich eine rote Nelke auf die linke Arschbacke tätowieren lässt und dann die Calvin-Klein-Unterhosen drüberzieht.“

Gerald Pichowetz

Du bist und warst kein ausgesprochener Freund der Grünen in der Stadtregierung …

Gut finde ich, dass diese Versuchsidee des ehemaligen Bürgermeisters Häupl von Rot-Grün ein Ende gefunden hat. Weil die Grünen bewiesen haben, dass mit manchen Menschen keine Stadt zu machen ist! Den Wechsel zu den NEOS halte ich für eine
bequeme, aber keine mutige Entscheidung – das wäre großkoalitionär gewesen. Ich glaube aber, dass sich die Pinken etwas mehr erhoffen als es werden wird und mit blauen Nasen herauskommen werden.

Im Gemeindebau ist die Wahlbeteiligung auf erschreckende 30% gesunken …

Wenn Demokratie den Beigeschmack bekommt, dass man eh nichts machen und ändern kann; oder den Beigeschmack des ‘es ist mir egal, was passiert’ bekommt – dann hat die Demokratie versagt.

Schon die Frau Sopherl, eine historische Karikaturenfigur um 1900, hat gesagt: „Ich wähl’ mein Mandatar eine in Reichsrat, aber von mir aus können’s erm dann dort die Haut abziehen, ist mir gleich.“ Politikverdrossenheit ist also nichts Neues.

Deine Gedanken zum Anschlag im ersten Bezirk?

Ich bin in einer gewissen Sprachlosigkeit verfangen. Was ficht einen an, wenn man mit 20 Jahren die Möglickeit hat, sein ganzes Leben vor sich zu haben, aus geistiger Verblendung so etwas zu machen. Warum und wie kann es soweit kommen? Warum lässt man diese Leute mit ihren Problemen, die sie offensichtlich haben, alleine? Es zeigt, dass seine lebenstechnischen Perspektiven nicht gestimmt haben.

Das Problem ist auch, dass jetzt wieder alle über den Kamm geschoren werden: Die bösen Muslime. Auch die, die sich bewusst
angesiedelt haben, ihre Leben genießen und in Frieden leben wollen.

Heuer gibt es im Bezirkszentrum leider keine Weihnachtsbeleuchtung weil, …

… dieser Lockdown uns sämtlicher finanzieller Mittel beraubt. Die Floridsdorfer müssen sich das Kerzerl heuer zuhause hinstellen. Die Weihnachtsbeleuchtung auf Brünner & Prager Straße und Floridsdorfer Hauptstraße kostet über 150.000 Euro. Derzeit so viel Geld für elektrische Beleuchtung zu verbrennen, wäre unseriös.

2021 kann nur besser werden?

Ich hoffe, wir finden eine Lösung für Corona! Aber der 31. Dezember ist nur eine Datumsgrenze – nicht das Ende! Das ist wie mit den Vorhaben Abzunehmen oder mit dem Trinken aufzuhören: Das machst am Jänner, am 3. trinkst a Glaserl Bier zum Essen, am 4. kommt der Sliwowitz und spätestens zu den Heiligen drei Königen ist alles wie vorher. Aber man kann es so sehen: Tröste dich mein Bester, es kommt wieder ein Silvester!