In unserer Leistungsgesellschaft wird das Thema Senioren und Seniorinnen derzeit nur unter dem Aspekt der Erhöhung des Pensionsalters diskutiert. Bedürfnisse und Lebenszufriedenheit „alter“ Menschen werden kaum berücksichtigt, auch wenn deren Zahl ständig steigt.
Prognosen sagen, dass in zehn Jahren in Floridsdorf fast 17.000 Menschen über 75 Jahre alt sein werden. Viele von ihnen werden allein oder im Familienverbund leben und notfalls zu Hause betreut. Für die anderen stehen derzeit im Bezirk sechs Pensionistenheime zur Verfügung, vor allem die „Häuser zum Leben“ in Jedlersdorf (320 Plätze) und Leopoldau (360 Plätze), wo sie zwar bestmöglich betreut werden, aber eben von der Gesellschaft räumlich getrennt leben.
Auf der Suche nach möglichen Alternativen wird man in der Geschichte des Wiener Wohnbaus rasch fündig: Ab 1950 baute die Gemeinde im Rahmen des Wiederaufbaus barrierefreie Reihenhäuser für alte Menschen in die Innenhöfe ihrer Wohnanlagen, umgeben von Laubengängen und kleinen Gemüsegärten. Die Senioren sollten in etwa 35 m2 großen Wohnungen inmitten eines sozialen Gefüges leben und möglichst eigenständig bleiben. Die Wohnungen wurden anfangs gratis, später gegen einen geringen Zins vergeben.
Von Matthias Marschik
So entwarf der Architekt Franz Schuster 1954 in der Siemensstraße 21-55 eine Siedlung mit kleinstädtischem Charakter: An den Rändern gab es Mehrfamilienhäuser, im Inneren ein- und zweigeschossige Reihenhäuser mit Gärten (heute Scottgasse). Dort war neben Schule und Kinderfreibad auch eine „Heimstätte für alte Menschen“ mit 22 Einheiten integriert. Der Innenhof sollte ein erweitertes Wohnzimmer sein, wo Obst und Gemüse angebaut werden konnten. Eine überdachte Pergola mit Bänken diente dem Austausch untereinander, mit den Kindern oder anderen Bewohnern. Gemeinschaft, Selbstversorgung und Nachbarschaftshilfe waren die Prämissen des Konzeptes, wobei eine Wohnung für eine Fürsorgerin reserviert war. Auch der Gemeindebau in der Frömmlgasse 1 (1963-64) beinhaltete einen barrierefreien Block für ältere Menschen.
Ende der 1960er Jahre existierten wienweit 34 solcher Senioren-Anlagen mit insgesamt 800 Einzel- oder Paar-Wohnungen. Es war ein viel beworbenes und international beachtetes Projekt. Doch wurde das Heimstätten-Modell für ein Wohnen im Alter aus Kostengründen nicht weitergeführt, die Wohnungen werden normal vermietet. Dabei scheint das Konzept gerade heute wieder brandaktuell: Das derzeitige Wohn-Konzept maximaler Verdichtung geht an den Bedürfnissen vieler – und gerade auch älterer – Menschen vorbei.
Die Gemeinde könnte hier mit gutem Beispiel vorangehen, doch könnten auch private Bauträger und Architekten zu „menschenfreundlicherem“ Bauen verpflichtet werden. So wie es aktuell Auflagen für den Bau von Jugendwohnungen (SMART) gibt, müssten auch die Bedürfnisse älterer Menschen wieder berücksichtigt werden. Positive Beispiele dafür sind das Projekt „Betreubares Wohnen“ der Johanniter auf den Schichtgründen oder das „Senior*innenwohnen“ der Volkshilfe in der Grellgasse, wobei freilich der Gemeinschaftsgedanke nicht mehr berücksichtigt wird.