Das Ende einer langen Geschichte

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Später übernahm man das Geschäft von Josef Schwaiger schräg über die Straße. Siehe Bild unten von Sperlings Postkartenverlag (M. M. S.) (Hersteller), 21., Prager Straße - mit Sparcassa, Ansichtskarte, 1900–1905, Wien Museum Inv.-Nr. 234996, CC0 (sammlung.wienmuseum.at/objekt/1041420/).
Später übernahm man das Geschäft von Josef Schwaiger schräg über die Straße. Siehe Bild unten von Sperlings Postkartenverlag (M. M. S.) (Hersteller), 21., Prager Straße - mit Sparcassa, Ansichtskarte, 1900–1905, Wien Museum Inv.-Nr. 234996, CC0 (sammlung.wienmuseum.at/objekt/1041420/).
Stein

Mit der Schließung des AGM Sild endet auch die Geschichte der ältesten Floridsdorfer Firma.

Der AGM Markt in Jedlersdorf (Ödenburger Straße) hat mit Ende Februar zugesperrt. Für Floridsdorf bedeutet das eine günstige Tankstelle weniger, ein neues Wohnbauprojekt mehr, die Sperre des beliebtesten Schleichwegs im 21. Bezirk und das Ende einer traditionsreichen Firma: dem ‘Sild’.

Der AGM-Markt konnte sowohl von der Prager Straße wie auch von der Ödenburger Straße angefahren werden. Die Tankstelle (oft eine der günstigsten in ganz Wien) hat bereits Ende Jänner geschlossen, der Großhandelsmarkt vier Wochen später.

Sild-Schild an der Prager Straße. Bild: DFZ.
Sild-Schild an der Prager Straße. Bild: DFZ.

Die Tore sind nicht nur im übertragenen Sinn geschlossen, sondern ganz real. Für viele Floridsdorfer war der AGM ein sehr beliebter Schleichweg von der Brünner zur Prager Straße und umgekehrt. Zwar offiziell verboten, jedoch kaum kontrolliert. Das ist nun Geschichte. Und auch nach einem Neubau ist mit Stand heute keine Durchfahrtsmöglichkeit geplant.

Wohnbau: Das passiert

Das AGM-Grundstück an der Ödenburger Straße war immer schon Teil des Stadtentwicklungsgebietes (Roigk-Gründe), hier werden also neue Wohnungen entstehen. Allerdings erst mittelfristig. Denn der Rewe-Konzern wird das Areal als Lager für Online-Bestellungen verwenden.

Sild: Legendäre Firma, legendäres Haus

Das bedeutet auch das Ende der – vielleicht sogar ältesten – Firma in Floridsdorf. Während andere AGM-Märkte verkauft worden sind, wird der in Floridsdorf geschlossen. Es gibt keinen Ersatzstandort. Und auch wenn es heute im Firmennamen kaum mehr vorkommt – alte Straßenschilder bezeichnen den Markt als ‘AGM – Sild‘. Und da macht es bei Historikern Klick: Das Sild-Haus Am Spitz.

Sild-Has Am Spitz. Bild: Vodicka.
Sild-Has Am Spitz. Bild: Vodicka.


Das heute noch existierende Jugendstilhaus Am Spitz 13 zählt zu den bedeutendsten historischen Gebäuden im 21. Bezirk. Und unter dem Dachfirst steht gut lesbar: Sild-Haus. Wir haben uns auf Spurensuche in der Geschichte der Ortschaft Floridsdorf begeben.

Die Familie Sild gehörte zu den allerersten Siedlern der Ortschaft Floridsdorf im 18. Jahrhundert. Es gibt mehrere Generationen an Kaufleuten, die auch Geschäfte Am Spitz hatten. Franz Polly listete in seinen ‘Floridsdorfer Spaziergängen’ penibel die ersten 30 Ansiedlungshäuser von Floridsdorf im Jahr 1787. Da findet sich an der Adresse Brünner Straße 14 Josef Sild, Seilermeister. Später übersiedelte die Familie wenige Meter zum Spitz, auf Nummer 7 (heute ist hier eine Bank).

Am Spitz 6 und 7. Hier hatte Lambert Sild mit seiner Frau einen Gemischtwarenhandel.  Bild: Bezirksmuseum.
Am Spitz 6 und 7. Hier hatte Lambert Sild mit seiner Frau einen Gemischtwarenhandel. Bild: Bezirksmuseum.

„Laut Lehmann scheint 1859 Anna Sild als Seilerin in Floridsdorf 1 auf, 1872 Anna und Lambert als Seiler und Seilerin und 1892 mit Gemischtwaren“, hat Historikerin Gabriele Dorffner herausgefunden. Der 1838 geborene Lambert Sild war auch Gemeinderat in Floridsdorf und 1865 Mitbegründer des Floridsdorfer Turnvereins. Jahre später übernahm man von Josef Schwaigers Witwe gegenüber das Haus Am Spitz 9, das heute noch existiert: Es ist eines der älteren Gebäude, aus den 1830ern. Bedeutend ist der um 1900 im Jugendstil von Architekt Friedrich Dietz von Weidenberg, einem Otto-Wagner-Schüler, erbaute Hoftrakt. Im hinteren Teil ist ein alter Garten, der sich heute noch auf dem Niveau eines alten Nebenarms der Donau befindet.

Später übernahm man das  Geschäft von Josef Schwaiger schräg über die Straße. Siehe Bild unten von Sperlings Postkartenverlag (M. M. S.) (Hersteller),  21., Prager Straße - mit Sparcassa, Ansichtskarte, 1900–1905, Wien Museum Inv.-Nr. 234996, CC0 (sammlung.wienmuseum.at/objekt/1041420/).
Später übernahm man das Geschäft von Josef Schwaiger schräg über die Straße. Siehe Bild unten von Sperlings Postkartenverlag (M. M. S.) (Hersteller), 21., Prager Straße – mit Sparcassa, Ansichtskarte, 1900–1905, Wien Museum Inv.-Nr. 234996, CC0 (sammlung.wienmuseum.at/objekt/1041420/).

Das Geschäft lief offenbar gut. Nachdem wenige Meter weiter das Rathaus und das Sparcassen-Gebäude entstanden waren, entschied sich auch Lamberts Sohn Conrad Sild für einen repräsentativen Neubau.

Am Spitz 13 ist eines der herausragendsten Gebäude im Bezirk (Adolf Wengritzki hatte hier davor einen Materialplatz. 1898 soll hier noch ein altes Haus gewesen sein, worin ein Dr. Josef Opitz gewohnt hat). Das „Sild-Haus“ wurde 1905-08 von Dietz von Weidenberg für Conrad Sild errichtet. Die beiden Weltkugeln am Dach symbolisierten die „weltumspannende Bedeutung des Handelshauses“ und „das Giebelrelief mit Löwen und Palmen unterstreicht, wie weit die Handelsbeziehungen des Handelshauses gereicht haben. Die neben dem Giebel befindlichen Lorbeerkränze und die bunten Kacheln zeigen den Otto-Wagner-Einfluss“, erklärt Historiker Gerhard Jordan.

Details des Sild-Hauses. Bild: Vodicka.
Details des Sild-Hauses. Bild: Vodicka.

In der Floridsdorfer Zeitung hieß es am 15. Juni 1907 als auch der Wodicka (heute: Betten Reiter) gebaut wurde: „Man ersieht schon jetzt, dass es dazu beitragen wird, den Platz zu dem schönsten des 21. Bezirkes zu gestalten, wozu allerdings auch das im Hintergrund befindliche Warenhaus Conrad Sild nicht wenig beiträgt. Floridsdorf wird nun auch seinen schönen vielbewunderten und vielbeneideten Rathausplatz besitzen.“

Ausschnitt einer alten Postkarte. Bild: Sammlung Neumayer.
Ausschnitt einer alten Postkarte. Bild: Sammlung Neumayer.

Laut einem alten Werbeplakat wurden für das Großhandelshaus „Kaffee, Thee, Reis und Gewürz importiert”, es gab Petroleum, Öle und Farbwaren. Stolz nannte sich die Firma ‘Erste Floridsdorfer elektrische Patentkaffee Großrösterei’.

1911 ist im Haus die Floridsdorfer Automobil Gesellschaft registriert. Vermietung, Verkauf und Reparatur von Automobilen und die Errichtung von Garagen war unter Geschäftsführer Conrad Sild geplant.

Am 18. Mai 1912 erschien in der Floridsdorfer Zeitung der folgende Artikel in der Rubrik ‘Humor von der Woche’: In der vergangenen Woche hat der Wind ein wenig Humor gemacht. – Am Gibel des Hauses des Großkaufmannes Konrad Sild ist ein mit durchbrochenen, eisernen Lettern, weit hinsichtbares Schild angebracht, auf welchem ‘Kaffee-Import’ ersichtlich ist. Der lustige Wind hat das A davongetragen. Es hieß nun ‘AFFE-IMPORT’. Die Bevölkerung war hierüber sehr besorgt, da die Möglichkeit nicht ausgeschlossen scheint, auf den großen Schiffen gleichzeitig mit Kaffee auch Affen zu importieren, welche sich hierorts ohnehin in erschreckender Anzahl befinden. Wir sind in der Lage mitzuteilen, dass Herr Sild nicht die Absicht hat Affen zu importieren, obschon dies unserer Meinung nach sehr vorteilhaft wäre da sich aus dem Affenfleisch, bessere und billigere Würstel erzeugen ließen, als dies in Floridsdorf der Fall ist. Ein Paar Pavian Frankfurter oder eine Schimpansen-Knackwurst ohne Mehl und Paprika wäre gewiss nicht ohne.

Noch nicht zu 100% belegbar ist eine Verbindung zu Cenzi Sild. Aber ihr Mann Hans dürfte der Bruder von Conrad und Rechtsanwalt in Floridsdorf gewesen sein. Cenzi (Tochter von Julius von Ficker) ging als ‘Uschba-Mädel’ in die Bergsteiggeschichte ein. 1903 war sie im Kaukasus am Uschba-Südgipfel an einer Rettungsmission beteiligt und dann gelangen ihr einige Erstbesteigungen. Ein namenloser, 3860 Meter hoher Berg, wurde nach ihr benannt und erhielt den Namen ‘Tsentsi Tau’. Dem Fürsten Dadeschkeliani von Swanetien hatte der Mut von Cenzi bei der Rettung ihrer verletzten Gefährten so imponiert – sie erhielt von ihm den Uschba geschenkt!

Danksagung Lambert Sild. Bild: Brigitte Laaber.
Danksagung Lambert Sild. Bild: Brigitte Laaber.

Die weiteren Geschicke der Familie liegen im Dunkeln und lassen sich nur bruchstückhaft rekonstruieren. Conrad Sild verstarb 1932 im Haus an einem Gehirnschlag, hat Brigitte Laaber herausgefunden. Erbschaftsstreitigkeiten gipfelten vor dem 2. Weltkrieg in einen Konkurs und später in einen Verkauf.

Heute errinnert neben dem Sild-Haus nur noch die (nach Lambert benannte) Sildgasse in Jedlesee an die einstmals omni-präsente Familie.
Hannes Neumayer

Sild-Haus in den 60ern. Bild: Bezirksmuseum.
Sild-Haus in den 60ern. Bild: Bezirksmuseum.