Die Bibliothek der Universität Wien freut sich und mit ihr freuen sich auch Studentinnen und Studenten, die in den Lesesälen nun wieder mehr Platz zur Verfügung haben. Fast drei Millionen Bücher, insgesamt 130.000 Laufmeter, wurden aussortiert und in ein externes Depot der Bundesimmobiliengesellschaft umgelagert. Das Gebäude wurde Ende 2024 fertiggestellt, die Kosten betrugen nahezu 40 Millionen Euro. Im Frühjahr erfolgte die Umsiedlung und am 7. Mai 2025 fand die feierliche Eröffnung des Depots statt. Seine Gestaltung genügt höchsten Ansprüchen: Es ist ein klimafreundlicher Holzhybridbau aus Recycling-Beton und viel Holz, die Energie stammt aus erneuerbaren Ressourcen, hauptsächlich aus einer am Dach montierten Photovoltaikanlage. Rund um das Gebäude wurden naturnahe Blumenwiesen angelegt, auf denen 60 Bäume gepflanzt werden. Standort sind die Siemensgründe in Floridsdorf.
Von Matthias Marschik
So weit, so gut: Es klingt ja erfreulich, wenn ein Teil des universitären Wissens, noch dazu in einem klimafreundlichen und gestylten Bauwerk, nunmehr in Floridsdorf beheimatet ist. Nur: Was haben wir in Floridsdorf eigentlich davon? Weder haben wir Zugang zu dem dort gehorteten Bücherwissen, indem wir dort Bücher ausleihen können. Noch steht das Gebäude an einem attraktiven Ort. Vielmehr verbirgt es sich hinter einem Betonklotz der Austrian Research Centres und einer riesigen Hochgarage, nachdem die spannende historische Industriearchitektur der alten Paukerwerke trotz massiver Einsprüche von Denkmalschützern abgerissen wurde.
Es sieht also eher danach aus, als ob Floridsdorf hier wieder einmal zum Hinterhof der Stadt Wien gemacht wird. Ein Hinterhof, das ist der rückwärtige Trakt der Mietskasernen des 19. Jahrhunderts; laut Wikipedia erfüllt er „niederwertig empfundene, hauswirtschaftliche Funktionen.“
Eine solche Rolle nimmt Floridsdorf seit langer Zeit für die Metropole Wien ein. An Floridsdorf werden Funktionen
delegiert, die die Stadt zwar benötigt, aber nicht selbst übernehmen möchte. Das Bücherdepot gehört damit zu einer langen Reihe von Aufgaben, die von den Vorstädten, und vor allem von Floridsdorf, für die „City“ übernommen werden. Ich möchte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, nur einige nennen:
War Floridsdorf – als Teil des Weinviertels – lange Zeit für die Versorgung der Stadt mit Getreide und Gemüse (und auch mit Wein und Bier!) verantwortlich, wurde es ab 1850 zum Produktionsort für Industriewaren, weil Wien ja weder die schmutzigen Fabriken noch die Proletarier beherbergen wollte. Umgekehrt wurde der Müll der Stadt einfach auf den Bruckhaufen gekippt, wo sich auch die Zentrale der Stadt- und Straßenreinigung befand. Ab den 1950er Jahren wurde Floridsdorf dann zur Schlafstadt für die Arbeiter und Angestellten der Stadt ausgebaut, und das bis heute, siehe die Verbauung des Donaufelds. Zudem wurde Floridsdorf zur Lagerhalle der Stadt, von den Self-Storage-Hallen bis zur IKEA-Abholstation in Strebersdorf. Das Uni-Bücherdepot reiht sich in diese Nutzung als „Hinterhof“ von Wien ein.
