Im September 2023 hatte Floridsdorf einen interessanten, wenn auch kaum beachteten Besuch. Barry Deutsch mit seiner Frau Randi aus Albuquerque (New Mexico) verbrachte einen ganzen Tag im Bezirk, am Nachmittag führte ich ihn gemeinsam mit Wolfgang Brugger durchs Bezirksmuseum. Barry war vom Besuch sichtlich bewegt, überraschte uns aber oft mit seinem Wissen über Details aus der Bezirksgeschichte.
Des Rätsels Lösung: Barry ist der Enkel von Leopold Deutsch, der bis zum März 1938 ein Eisenwarengeschäft nahe des alten Bahnhofs betrieb, ehe er als Mitglied der jüdischen Gemeinschaft Floridsdorfs unerwünscht war. Urgroßmutter Antonia Blatt wurde im Zuge des Holocaust 1942 ermordet, der Rest der Familie konnte 1939 nach Shanghai flüchten und ließ sich nach 1945 in New York nieder, von wo sie später nach New Mexico zog.
Barry erzählte viel vom Fußball, war doch sein Großvater Leopold Deutsch, gemeinsam mit Josef und Gustav, Teil des legendären Kleeblatts der Deutsch-Brüder, die in den 1910er Jahren den Fußball in Wien wesentlich mitbestimmten. Gustav (geb. 1891), Leopold (geb. 1892) und Josef, der Jüngste, waren „gestandene“ Floridsdorfer und spielten daher meist für den Floridsdorfer AC, der im Gegensatz zur Admira Gründungsmitglied der „1. Klasse des NÖ Fußballverbandes“ und einer der Wiener Spitzenklubs war. Gustav (1) und Josef (3) spielten auch im Nationalteam.
Von Matthias Marschik
Bis zum Beginn des ersten Weltkriegs 1914 spielte der FAC eine eher bescheidene Rolle in der obersten Liga, denn die großen Klubs wie Rapid, WAF oder der WAC zahlten bereits illegale Gehälter und verpflichteten die besten Spieler. Mit Kriegsbeginn hörte sich diese Praxis freilich auf, viele der Stars mussten einrücken. Und da schlug die große Stunde des FAC, der auf ein fast unerschöpfliches Reservoir halbwüchsiger, aber im Gassenfußball bestens ausgebildeter Spieler zurückgreifen konnte.
Da es in den Kriegsjahren kaum Vereinswechsel gab, konnte der FAC ein schlagkräftiges Team aufbauen. Rund um die Routiniers Gustav und Josef Deutsch (sie waren zwar Soldaten, aber in Wien stationiert, sodass sie fast an allen Spielen teilnehmen konnten, lediglich Leopold diente im Infanterie-Regiment 84 in Mazedonien) entstand eine Spitzenmannschaft aus jungen, 16- bis 18jährigen Burschen. Dazu gehörten die spätere Vereinslegende Karl Jiszda (geb. 1899), Viktor Hierländer (geb. 1900), Ferdinand Humenberger (geb. 1897) oder der Budapester Legionär István Sterba. Viele arbeiteten in den großen Industriebetrieben und waren daher fürs Militär unabkömmlich.
Nach zwei Vizemeistertiteln 1916 und 1917 konnte der FAC, durch das bessere Torverhältnis, 1917/18 den Titel vor Rapid erringen. Auch das Cupfinale hatte der FAC gewonnen, das Resultat war aber wegen einer eigenmächtigen Spielverschiebung vom Verband nicht anerkannt worden. Das FAC-Team zerfiel bald nach Kriegsende, als der illegale Professionalismus wieder Platz griff. So wechselte Tormann August Kraupar noch 1918 zu Rapid, Sterba war ab August 1921 Spielertrainer der Admira.
Leopold Deutsch hingegen blieb dem FAC erhalten, zuerst als Mäzen, von 1936 bis zum März 1938 sogar als Klubpräsident. Damit war er Nachfolger von Kurt Klagsbrunn, der 1939 ebenfalls fliehen musste. Dessen Großneffe Victor Hugo Klagsbrunn, der heute in Rio de Janeiro lebt, hatte Barry Deutsch mit vielen Informationen für seine Reise nach Floridsdorf versorgt. Auch wenn die Nachkommen über die ganze Welt verstreut sind, haben sich die alten FAC-Connections also bis heute erhalten!