Ich war ein ‘Räuber’ oder ‘Schanti’

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Fotos: Hollinek, Mauch, Mario Lang.
Fotos: Hollinek, Mauch, Mario Lang.
Stein

Kindheit in den Wirtschaftsaufschwungsjahren: Das war in erster Linie viel Bewegung im Hof. König war eindeutig derjenige, der einen Lederball sein Eigen nennen durfte. Über ihn gab es nur eine einzige höhere Instanz: seine Mutter.

Wenn die Königsmacherin laut aus dem Fenster rief, konnte es in unserem Fußballkäfig in einem hochdramatischen Spiel 9 : 9 stehen (das nächste Tor hätte entschieden), das war für sie völlig belanglos. Unser König musste im Nu abtreten, und mit ihm ging auch der uns alle verbindende Ball verloren.

Ein Glück war für uns in jedem Fall, dass unser König nicht eigensinnig und auch nicht neidig war. Wann immer er zu uns in den Hof durfte, teilte er seinen Ball mit uns. Als sich irgendwann ein Abgesandter des nächst gelegenen Fußballvereins bei einem unserer Spiele einfand, lud er uns anschließend zu einem Probetraining ein. Dabei riskierte er nichts: denn die Grundschule des Spiels hatten wir uns in vielen unbeschwerten Stunden selbst beigebracht. Spielten wir nicht Fußball, bewarfen wir uns mit Erdbrocken (im Sommer) oder Schneebällen (im Winter). Oder wir fuhren mit Rollschuhen oder Kinderrädern um die Wette. Oder wir waren als Cowboy und Indianer in den Gebüschen unterwegs, immer auf der Hut, dass uns die Hausbesorger nicht erspähen konnten. Mit den Mädchen spielten wir auch „Der Kaiser schickt Soldaten aus“ oder „Räuber und Schanti“.

Zur Erklärung: Schantis waren die Gendarmen, die die Räuber finden mussten. Später gab’s mit Herzpumpern ein Busserl auf die Wange der ersten Liebsten. Fernsehen wollten wir anfangs nur am späteren Mittwochnachmittag. Da fegte uns der TV-Kasperl aus dem Hof. Dann landete erstmals „Raumschiff Enterprise“ in unserem Wohnzimmer und viel später die Biene Maja. Meine kleine Welt im Gemeindebau war damals ziemlich gerecht: mit Ausnahme des Königs besaßen alle ungefähr gleich viel. Unsere Väter fuhren in der Früh mit dem Wagen zur Arbeit, unsere Mütter waren für uns rund um die Uhr da, mit unseren Geschwistern teilten wir ein Zimmer.

Die Wohnungen waren so wie die meisten Familien (Vater, Mutter, zwei Kinder) gleich groß. Wenn eine Familie das Geld für den Schulausflug nicht aufbringen konnte, legten die anderen ohne viel Aufsehen zusammen. Dass Kinder in Wien in einem Haus mit eigenem Garten aufwachsen, habe ich erst als halber Erwachsener mitbekommen.

Dass Menschen ihre Wohnung besitzen und nicht von der Stadt mieten, war mir auch nicht von Kindesbeinen an klar. Am Ende der vierten Klasse Volksschule gabelten sich dann unsere Wege. Auffallend viele aus unserem Gemeindebau wurden einer alten Tradition folgend der Hauptschule zugewiesen. Für mich ein bisserl schade, denn unter ihnen waren viele lustige, gescheite, vielleicht nicht ganz pflegeleichte Typen. Doch ihre Eltern sahen vor, dass sie denselben Weg einschlagen wie sie einst. Immerhin spielte für uns andere, die wir ins Gymnasium gehen durften, die Tatsache, dass wir aus dem Gemeindebau kamen, kaum eine Rolle mehr. –UWE MAUCH

Homestorys aus dem Roten Wien – 100 Geschichten zu 100 Jahren Gemeindebau, von Uwe Mauch (Text) & Mario Lang (Fotos). € 29.