„Leben in Grätzln muss pulsieren”

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Susanne Dietl. Foto: Georg Schroll.
Susanne Dietl. Foto: Georg Schroll.
Stein

Interview: Die Grüne-Klubobfrau Susanne Dietl über die Attraktivierung der Brünner Straße, schlechte Wahlergebnisse … Teil 4 unserer Interviewreihe mit  Bezirkspolitikern: Susanne Dietl von den Floridsdorfer Grünen im DFZ-Gespräch.

DFZ: Im April wurde 30 Jahre Grüne in Floridsdorf gefeiert – die Highlights?

Susanne Dietl: „Großes Highlight war der Van-der-Bellen-Wahlkampf. Nicht nur wegen des Sieges, sondern weil er die Menschen politisiert hat. Vor allem viele Junge und viele Frauen. Deshalb haben wir jetzt auch einige neue Mitarbeiter. Ein wichtiger Erfolg ist, dass nach 20 Jahren Wartezeit, fast 30 Prozent von Floridsdorf zum Landschaftsschutzgebiet erklärt wurden. Und die Intervallverdichtungen am Korneuburger Ast der Schnellbahn oder die neue Autobuslinie 33A.“

Nicht so positiv ist, dass man noch immer bei nur vier von 60 Mandaten hält und die Floridsdorfer Grünen bei der letzten Bezirksvertretungswahl das drittschlechteste Ergebnis in ganz Wien abgeliefert haben.

„Es ist eine besondere Herausforderung, mit so wenig Leuten die Menschen auch zu erreichen. Dort, wo wir Aktivitäten setzen, findet sich das auch im Wahlergebnis wieder. Zum Beispiel im Donaufeld haben wir viele Veranstaltungen organisiert und auch einen höheren Wähleranteil. Ein großes Problem für die Grünen war die Polarisierung Blau-Rot im Bezirk. Da müssen wir uns für die nächste Wahl eine Strategie überlegen.“

Leiden die Floridsdorfer Grünen auch unter der Regierungsbeteiligung auf Gemeindeebene? Plötzlich sind sie für (Bau-)Projekte, die sie als Oppositionspartei relativ sicher abgelehnt hätten.

„Mag sein. Auf der anderen Seite bringen wir Sachen durch, die nur in der Regierung gehen. Fakt ist, wir haben 7 Prozent im 21. Bezirk. Ich sehe neidisch in andere Bezirke, die stärker sind! Ja, es muss gebaut werden und es gibt umstrittene Projekte in Floridsdorf. Unsere Aufgabe bei Bauprojekten ist es, zu schauen, welche Qualität haben die Stadterweiterungsgebiete. Die Flächenwidmung beim Gaswerk ist ein innovatives Projekt mit Mehrwert für die Bevölkerung. Und uns ist die Nutzung einer Industriebrache wie das Gaswerk Leopoldau für Wohnbau lieber, als das Donaufeld.“

Ist es nicht traurig, dass die Grünen zum Feindbild der Bürgerinitiativen in Floridsdorf geworden sind?

„Es tut dort weh, wo die Bürgerinitiativen wirklich konstruktiv sind. Das habe ich auch bei den Siemensäckern und im Donaufeld so erlebt. Bei der Bürgerbeteiligung muss noch einiges verbessert werden. Was fehlt, ist eine Verbindlichkeit in der Umsetzung. Da sollte es auch mehr Vorgaben für die Wohnbauträger wie Geschäfte, Cafes, Urban Gardening oder etwa im Donaufeld den Erhalt der Bioschanze verbindlich geben. Auch was das Rathaus und die Stadtplanung betrifft, besteht noch erhebliches Verbesserungspotential.“

Thema Verkehr – ihre Vorschläge?

„Den öffentlichen Verkehr beschleunigen, speziell die Tangentialverbindung. Das war ja unter Ex-Bezirksvorsteher Lehner unmöglich. Ampeln für Straßenbahnen sofort auf Grün schalten. In Wien wird dabei immer sehr viel Rücksicht auf Autoverkehr genommen und kein Stau in Kauf genommen. Mehr Straßenbahnen – die sind hochleistungsfähig. Der Bus 31A könnte eine Straßenbahn werden, von Kagran Richtung Donaufeld. Ein Wunsch der Bevölkerung ist eine Schnellverbindung von Stammersdorf und Strebersdorf zur U1.“

Unser Bezirkszentrum war zuletzt häufig Ziel heftiger medialer Kritik …

„Die Brünner Straße könnte man wirklich aufwerten! Wenn der Schlingermarkt neu gestaltet wird und die Bibliothek in das Weisselbad zieht, wird das ein interessantes Gebiet. Eine Radverbindung wäre hier schön – man könnte durchaus noch eine Spur wegnehmen. Und Bäume in der Brünner Straße zur optischen Attraktivierung. Mir geht es darum, im Bezirkszentrum die Aufenthaltsqualität zu steigern: etwa mit einer schrittweisen Umsetzung einer Begegnungszone. Denn es sind weit mehr Fußgänger als Autofahrer um das Amtshaus unterwegs. Deshalb müsste man das Gebiet für Fußgänger attraktiver gestalten. Da fehlt der Mut, etwas Neues auszuprobieren.“

Zum Schlingermarkt: Warum dauert es so lange, bis Maßnahmen gesetzt werden?

„Das kann man nicht nur der Politik vorwerfen. Ich bin froh, dass die Kunden befragt wurden und nicht nur Standler. Wenn mehr Innovationsgeist bei Standlern vorhanden wäre, wäre schon früher etwas entstanden.“

Ist es ein Mythos, dass Floridsdorfer sich im wienweiten Vergleich stiefmütterlich behandelt fühlen?

„Ich glaube wirklich, dass Transdanubien in der Politik benachteiligt ist. Ich habe das Gefühl, dass die Leute, die auf den Direktmandaten aus Floridsdorf für den Gemeinderat sitzen, nicht wahnsinnig oft herkommen.“

Auch ihre Stadträtin Maria Vassilakou sieht man nicht oft in Floridsdorf?

„Ja, also ich habe auch das Gefühl, dass Floridsdorf ein Stiefkind ist. Vielleicht weil die beiden Bezirke so spät zu Wien gekommen sind. Defizite wurden nie aufgeholt. Das sieht man am Verkehrsnetz. Wenn man das Geld des U-Bahn-Baus in Straßenbahn- oder Busnetz investieren würde, hätte man sehr viel mehr davon.“

Ihre Bilanz des Bezirksvorstehers Georg Papai nach drei Jahren?

„Ich halte Georg Papai für viel innovativer als Heinz Lehner. Er setzt mehr um und hat weniger Angst vor Widerstand in der Bevölkerung. Ich finde die Parkoffensive gut, den Kreisverkehr Leopoldau und dass der Pius-Parsch-Platz autofrei wird. Das wäre unter Lehner nicht möglich gewesen. Auch Wohnstraßen waren früher unmöglich umzusetzen. Viel besser ist die Einbeziehung in Arbeitsgruppen. Ein Manko: Wir werden zwar zum Arbeiten eingeladen – wenn es darum geht, Ergebnisse der Öffentlichkeit zu präsentieren, macht das die SPÖ gerne allein …“

Welche Maßnahmen würde Susanne Dietl als Bezirksvorsteherin setzen?

„Da muss ich echt lachen – da muss es noch zwei, drei Wahlen geben. Die Aufenthaltsqualität im Bezirkszentrum steigern. Einen Schnellbus von Strebersdorf und Stammersdorf zur U-Bahn nach Leopoldau und eine Straßenbahn statt dem 31A. Bei der Flächenwidmung Donaufeld den Grünraum nachhaltig sichern. Und in jedem unserer sieben Bezirksteile für eine Grätzlaufwertung sorgen: Das Leben in den Grätzln muss wieder stärker pulsieren. Ein aktuelles Projekt ist zum Beispiel ‘Rad-Asyl’, bei dem wir gemeinsam mit Flüchtlingen und der Radlobby 21 alte Fahrräder reparieren!

– Interview HANNES NEUMAYER