Meine lieben Fluaridsduafa!

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Gerald Pichowetz. Bild: Gloria Theater.
Gerald Pichowetz. Bild: Gloria Theater.
Stein

Meine lieben Fluaridsduafa!

Wenn man als „Fluaridsduafa“ seinen Heimatbezirk wie ich seit einem halben Jahrhundert kennt – viel von Euch tun dies noch wesentlich länger -, und wenn man viel in ihm herumkommt, dann stellt man gelegentlich mit Wehmut fest, dass von einem zum nächsten Mal das eine oder andere Geschäft oder das eine oder andere Gebäude plötzlich verschwunden ist.

An vielen dieser Stätten hängen Kindheits- oder Jugenderinnerungen, an manchen Adressen aber weiß man gar nicht mehr, wie diese Gebäude ausgesehen haben, oder welches Geschäft dort eigentlich früher war. Besondere Veränderung hat vor nun schon einigen Jahrzehnten die Brünner Straße zwischen Schlingermarkt und Stammersdorf erfahren. Haben wir als Kinder noch Kukuruz von den Feldern neben dem 331er gefladert, so erstreckt sich dort heute ein Canyon aus Wohnhäusern.

Und während das „HSP“, das Heeresspital, stadtauswärts weithin erkennbar Stammersdorf ankündigte, so ist dieses heute hinter den Wohnbauten leicht zu übersehen. In Donaufeld und Leopoldau ist die Wohnraumverdichtung bereits fortgeschritten, und auch die Prager Straße wird wohl in einigen Jahren ähnlich aussehen. Es hat wenige Jahrzehnte gedauert, bis die Wiener Vorstädte zwischen ehemals Stadtmauer und Linienwall ab dem Bau der Ringstraße zu den heutigen „inneren Bezirken“ zwischen Zweierlinie und Gürtel zusammenwuchsen.

Die Bevölkerungszahl Wiens steigt aus unterschiedlichen Gründen wieder stetig und rasant gegen die zwei Millionen, die bereits 1910 erreicht waren, wobei damals pro Wohneinheit oft 10 oder mehr Menschen ein Heim hatten. Das Single-Dasein boomt, und damit steigt auch der Bedarf an Wohnraum. Dieser wird naturgemäß dem Grünraum abgerungen, es müssen Gärtnereien, Felder und auch viele noch vorhandene ebenerdige Häuser, die den dörflichen Charakter bestimmten, weichen.

Ein lieber Freund sagt mir des öfteren: „Wenn meine Großeltern heut’ vom Friedhof Ausgang hätten, die gingerten sofort freiwillig wieder z’ruck!“. Mancher von Euch wird sich das vielleicht auch denken, doch das ist nun einmal der Lauf der Zeit, heute genau so wie vor hundert Jahren. Noch haben aber die Ortskerne von Strebersdorf, Stammersdorf etc. ihren lieblichen, ländlichen Charakter bewahrt. Genießen wir diese, so lange wir sie noch erhalten können! Euer Gerald Pichowetz