November-Streifzüge

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Gerald Pichowetz. Bild: Gloria Theater.
Gerald Pichowetz. Bild: Gloria Theater.
Stein

Meine lieben „Fluaridsduafa“!

Wer nach mehreren Jahren Absenz mit dem Auto über die Nordbrücke oder vom Spitz kommend die Prager Straße stadtauswärts fährt und nach dem Passieren des Floridsdorfer Heimatmuseums seinen Blick nach rechts wendet, der wird nach einem möglichen ersten Schreck und der Vermutung, sich verfahren zu haben, doch bald feststellen, dass sich das Bild Floridsdorfs einfach rasant verändert.

Dort, wo noch zu Beginn des Jahres 2003 der traurige Rest des Jedleseer Bahnhofs auf die G’stettn rundum blickte, sind binnen kürzester Zeit sieben Stiegen einer Wohnhausanlage entstanden. „Florasdorf am Anger“ nennt sich das Projekt, welches knapp 300 Wohneinheiten umfasst. Nachdem ich im Moment keinen Bedarf an neuem Wohnraum habe, drehen sich meine Gedanken unwillkürlich um die Erinnerungen an den Jedleseer Bahnhof. 1841 war die Bahnstrecke von Floridsdorf nach Stockerau als Flügelbahn der Kaiser Ferdinands-Nordbahn in Betrieb gegangen, sie wurde 30 Jahre später von der 1868 gegründeten Gesellschaft der „k.k. privilegierten österreichischen Nordwestbahn“ übernommen. Der Bahnhof Jedlesee war kurz zuvor fertiggestellt worden. Vor 60 Jahren begann dann das Ende der klassischen Nordwestbahnstrecke, nachdem mit der Planung der Schnellbahn die Donauüberquerung der Nordwestbahnbrücke nicht mehr benötigt wurde.

Die Brücke wurde abgetragen, die Geleise, zur Querung der Prager Straße einst mit einem Schranken gesichert, wurden bis zum Bahnhofsareal abgetragen. Nun hatte auch der Bahnhof selbst seine Funktion eingebüßt, es wurden Pläne für eine Nachnutzung unter Beibehaltung eines Bezugs zur Eisenbahn erarbeitet, an denen auch ich mitgewirkt habe. Aus diesen Plänen ist allerdings nichts geworden, es mangelte an öffentlichem Interesse und am Investitionswillen seitens der ÖBB. Dennoch wurde der Bahnhof im Jahr 1999 unter Denkmalschutz gestellt, er stand aber sehr bald offensichtlich politischen Interessen im Wege, die das inzwischen umgesetzte neue Verkehrskonzept und möglicherweise auch bereits neuen Wohnraum sahen. Die letzten Jahre des Bahnhofs waren seiner nicht würdig.

Trotz Denkmalschutzes ließ man es zu, dass der Zutritt eines Tages gewaltsam erfolgte, dass spielende Kinder und auch Obdachlose Unterschlupf fanden, und dass schließlich 2002 ein Brand im Dachgeschoss einem bald danach erfolgten Antrag auf Aufhebung des Denkmalschutzes Erfolg bescherte. Drei Monate später war der Jedleseer Bahnhof abgerissen und Geschichte. Euer Gerald Pichowetz