Stadt geworden – Dorf geblieben

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Brünner Straße mit Eisgeschäft in den 1960er-Jahren. Pisani (heute Perugini) gab es schon 1935 - damals noch auf der anderen Straßenseite. Pisani brachte mit Gefrorenem ein wenig Italien-Flair nach Floridsdorf. Bild: Bezirksmuseum Floridsdorf.
Brünner Straße mit Eisgeschäft in den 1960er-Jahren. Pisani (heute Perugini) gab es schon 1935 - damals noch auf der anderen Straßenseite. Pisani brachte mit Gefrorenem ein wenig Italien-Flair nach Floridsdorf. Bild: Bezirksmuseum Floridsdorf.

Druckfrisch ist das neue Buch der beiden Floridsdorfer Autoren Gabriele Dorffner und Matthias Marschik. In ,Wien-Floridsdorf – Stadt geworden – Dorf geblieben‘ präsentieren sie über 200 meist unveröffentlichte Aufnahmen. Eine Zeitreise in den Alltag der Menschen, an den sich noch viele im 21. Bezirk erinnern werden, geht es doch um die Periode zwischen 1945 und 1975.

Zunächst waren die 30 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges von Zerstörung und Wiederaufbau geprägt und später von neuem Wohlstand und Modernisierungsschub. Und natürlich vom auch heute viel bemühten Yin und Yang Floridsdorfs: Stadt geworden – Dorf geblieben. Marschik: „Die 1970er Jahre waren nicht die erste Phase der Bezirksgeschichte in der sich Stadt und Land, Urbanität und Dorfcharakter, Tradition und Moderne sowohl bekämpften wie ergänzten.“

Das Bezirkszentrum war 1945 schwer beschädigt.  Bild: Bezirksmuseum Floridsdorf.
Das Bezirkszentrum war 1945 schwer beschädigt. Bild: Bezirksmuseum Floridsdorf.

War etwa 100 Jahre zuvor die unseren Bezirk prägende Ära der Industriealisierung angebrochen, neigte sich diese fast schon wieder dem Ende zu: Die einst glorreiche Lokomotivfabrik Lofag stellte in den 60ern die letzten Loks her. 1969 wurden drei Schornsteine der Tonfabrik in der Freytaggasse gesprengt. Co-Autorin Gabriele Dorffner: „Die Schwerindustrie hatte an Bedeutung verloren, der Arbeiterbezirk war passé.“

Ende der Sechziger wurden die Schornsteine der Tonfabrik (Freytaggasse) gesprengt. Bild: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung.
Ende der Sechziger wurden die Schornsteine der Tonfabrik (Freytaggasse) gesprengt. Bild: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung.

Fast gleichzeitig bekamen die noch an jeder Ecke existierenden Greißler vom ersten Selbstbedienungskaufhaus ,Dietrich‘ auf der Prager Straße oder dem Löwa-Kaufhaus, welches das Gasthaus Dietrich ersetzte, Konkurrenz. 50 Jahre später sind Ketten wie Löwa, Konsum, PamPam oder Gebrüder Kunz längst schon wieder selbst verschwunden.

Eisenwarengeschäft Am Spitz in den 50ern. Bild: Archiv Matthias Schwaiger.
Eisenwarengeschäft Am Spitz in den 50ern. Bild: Archiv Matthias Schwaiger.

Marschik ist selbst in Jedlesee aufgewachsen und kann sich noch gut an die Orte seiner Kindheit erinnern: Der hölzerne Obst-Gemüse-Kiosk von Herrn Seidl in der Schillgasse, Milchwaren vom Ehepaar Schery in der Gerstlgasse, Fleisch und Wurst beim Gruber Karli, der Friseur Cermak und Bierkäufe für den Vater im Gasthaus Ringseis.

Papiergeschäft Böhm 1958. Bild: Floridsdorfer Turnverein 1865.
Papiergeschäft Böhm 1958. Bild: Floridsdorfer Turnverein 1865.

„In den 50er bis 70er Jahren hat sich Floridsdorf zu dem entwickelt, was es jetzt ist: Von einem Bezirk mit einer kleinen bürgerlichen Schicht, einer kleinen landwirtschaftlichen Versorgungseinheit und einer großen Arbeiterschicht zu einem – wie wir oft bezeichnet werden – Schlaf- und Flächenbezirk. Mit diesem Buch wollen wir aufzeigen, dass diese Zuschreibung Floridsdorfs viel zu kurz greift“, so Marschik.

Franz Jonas, ab  1946 Bezirksvorsteher und ab 1951 Bürgermeister, eröffnet 1962 die neu 
adaptierte Floridsdorfer Hauptstraße. Bild: Verein für Geschichte der Arbeterinnenbewegung.
Franz Jonas, ab 1946 Bezirksvorsteher und ab 1951 Bürgermeister, eröffnet 1962 die neu adaptierte Floridsdorfer Hauptstraße. Bild: Verein für Geschichte der Arbeterinnenbewegung.

Das neue Buch von Dorffner und Marschik ist in 12 Kapitel von der Donau über Fabrikshallen, Parteien, Kinos und Sport bis zu Essen und Trinken gegliedert. Wie schon üblich bei den beiden lokalen Erfolgsautoren mit einer fein selektierten Fotoauswahl.

1952 - eine 250er-Puch 
erhöhte die  Chancen auf dem Heiratsmarkt. Bild: Archiv Matthias Marschik.
1952 – eine 250er-Puch erhöhte die Chancen auf dem Heiratsmarkt. Bild: Archiv Matthias Marschik.

Info: Wien-Floridsdorf – Stadt geworden – Dorf geblieben. Eine Bilderreise von 1945 bis 1975. Gabriele Dorffner und Matthias Marschik; Sutton Verlag; 25,70 €.

Der FAC spielte bis 1954 auf der Pollakwiese (heute u.a. Kirche), stieg aus der Staatsliga ab, verlor den Sportplatz und war 13 Jahre heimatlos. Bild: Archiv Anton Egger.
Der FAC spielte bis 1954 auf der Pollakwiese (heute u.a. Kirche), stieg aus der Staatsliga ab, verlor den Sportplatz und war 13 Jahre heimatlos. Bild: Archiv Anton Egger.

Das Buch wird am 12. Juni (18h) im Bezirksmuseum präsentiert. -Hannes Neumayer

Buch-Cober Wien Floridsdorf 1945 v- 1975. Bild: Bezirksmuseum Floridsdorf / Sutton Verlag.
Buch-Cober Wien Floridsdorf 1945 v- 1975. Bild: Bezirksmuseum Floridsdorf / Sutton Verlag.