Tabuzonen? „Brachliegende Flächen optimal nutzen!“

906
Stadtrat Michael Ludwig (links), Bezirksvorsteher Georg Papai (rechts) und Dr. Raab mit den Plänen des neuen „Woolworth“. c: Ludwig_Jobst_PID

Michael Ludwig ist Wohnbaustadtrat in Wien. Und er ist selbst Floridsdorfer. Im Interview klären wir, ob Stadterweiterung auch Grenzen hat, ob es in Floridsdorf Tabzuzonen gibt, wann es im Donaufel losgeht, uvm.
In Floridsdorf wird derzeit auffällig viel gebaut: Hat die Stadterweiterung in Floridsdorf auch Grenzen?
Michael Ludwig: Rund 50 Prozent unserer Stadt sind Grün- und Naturraum. Vom Wiener Wald, über die Weinberge bis zu den Donauauen. Diese Flächen möchte ich schützen und erhalten. Dazu gibt es ein ganz klares Bekenntnis. Gleichzeitig müssen wir aber auch dafür Sorge tragen, dass wir jene Gebiete im urbanen Bereich bestmöglich für die Bevölkerung vom Wohnen bis zum Arbeiten nutzen. Das gilt selbstverständlich auch für Floridsdorf.
Im Zuge der Stadtplanung und der zukünftigen Flächenwidmungen liegt darauf der ganz klare Fokus. Wir müssen Bauland und derzeit noch brachliegende Flächen optimal nutzen. Gleichzeitig wollen wir gewachsene Ortskerne erhalten und bestehende Viertel im Zuge der Stadterneuerung revitalisieren und somit noch lebenswerter gestalten. Das passiert bei der Realisierung neuer Projekte, wie auch im Bereich der Stadterneuerung, wo wir beispielsweise über sogenannte Blocksanierungsgebiete oftmals in Verbindung mit Gebäudeaufstockungen neue Freiflächen entwickeln. Eines dieser Blocksanierungsgebiete wird in den nächsten Jahren auch am Floridsdorfer Spitz umgesetzt.
Gibt es Tabu-Zonen, die nicht verbaut werden?
Das gilt für alle dezidiert als Grünflächen ausgewiesenen Liegenschaften. Und natürlich insbesondere für die Weinberge.
Wird es in Floridsdorf auch neue Gemeindebauten geben?
Die neuen Gemeindewohnungen sind Teil des gesamten kommunalen und geförderten Wohnbauprogramms. Wir haben inzwischen die ersten konkreten Projekte im 6., im 10. und im 2. Bezirk auf Schiene. Derzeit arbeiten wir an einer ganzen Reihe weiterer Projekte – insgesamt wollen wir bis 2020 die Errichtung von 4.000 neuen Gemeindewohnungen umsetzen. Bei den möglichen weiteren Standorten finden sich auch welche in Floridsdorf.
Die Einwohnerszahl im 21. Bezirk wächst stetig – wieviele Einwohner wird Floridsdorf 2050 haben?
Wir verzeichnen in Wien seit Jahren eine stark steigende Bevölkerungsentwicklung. Zuletzt auch noch deutlich stärker als prognostiziert. Wien ist inzwischen nach Berlin die zweitgrößte deutschsprachige Stadt. Nicht zuletzt aufgrund der sehr, sehr hohen Lebensqualität ist Wien ganz besonders attraktiv. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn gleichzeitig beobachten wir, dass auch viele europäische Metropolen sinkende Bevölkerungsentwicklungen aufweisen. Diese Städte kämpfen mit ganz anderen Herausforderungen.
Den aktuellen Prognosen zufolge wird die Bevölkerungszahl in Wien bis 2029 auf rund 2 Millionen Einwohner anwachsen. Floridsdorf – mit heute rund 150.000 Einwohnerinnen und Einwohnern – würde dann etwas über 170.000 Bewohnerinnen und Bewohner haben. Mit noch weiter in die Zukunft reichenden Prognosen wäre ich vorsichtig. Schließlich hat schon Karl Valentin gesagt: Das Schwierige an Prognosen ist, dass sie die Zukunft betreffen.
Sie sind selbst Floridsdorfer – haben Sie Verständnis dafür, dass viele Einwohner von der intensiven Bebauung nicht begeistert sind, weil sich ihr Umfeld massiv verändert?
Natürlich habe ich dafür Verständnis. Und es ist mir auch wichtig, dass wir eben die urbanen Flächen bestmöglich nutzen, bei zukünftigen Bebauungen auch weiterhin eine hohe Lebensqualität sicherstellen und andererseits weiterhin ausreichend Grün- und Erholungsflächen zur Verfügung haben. Wenig Verständnis habe ich aber dann, wenn Bewohner, die erst vor wenigen Jahren günstige Wohnungen bezogen haben, die Schaffung weiterer erschwinglicher Wohnungen in ihrer Nachbarschaft justament verhindern wollen. Hier wünsche ich mir im Sinne jener, die derzeit oder in absehbarer Zeit eine Wohnung suchen, doch auch mehr Verständnis. Denn oft benötigt man für Kinder oder nahe Verwandte Wohnungen.
Wie bringt man Umweltschutz (Ziesel!) mit Stadterweiterung in Einklang?
Wir verfügen in Wien über strengste Artenschutz- und Naturschutzbestimmungen. Diese gelten selbstverständlich ausnahmslos. Auch die Stadtentwicklung und der Wohnbau sind damit in Einklang zu bringen. Bei dem von Ihnen angesprochenen Projekt beim Heeresspital haben die Bauträger die betreffenden Flächen angekauft und werden die von ihnen entwickelten Projekte auf Basis der Flächenwidmungs- und Bebauungsbestimmungen sowie insbesondere gemäß den Auflagen der Naturschutzbehörde realisieren.
Ein weiteres umstrittenes Projekt sind die „Siemensäcker“? Wie erklärt man Anrainern, dass sie in Zukunft neben 35-Meter-Häusern wohnen?
Bei den Planungen dazu wurden die Anrainer frühzeitig eingebunden. Bereits vor der Flächenwidmung sind die Bewohnerinnen und Bewohner informiert worden. Sie konnten ihre Anregungen und Wünsche einbringen, diese sind bei den weiteren Planungen auch miteingeflossen. Das neue Viertel bringt den Anwohnerinnen und Anwohnern auch einen Ausbau der Infrastruktur: Es wird eine Autobuslinie durch das Gebiet führen und ein Kindergarten errichtet – was ein Mehrwert für die ganze Umgebung ist. Wichtig ist, dass es in dem Bereich einen öffentlichen Park mit großen Grünraumflächen von 12.000 m² geben soll, die großzügig ausgestaltet sind und den Bereich gestalterisch prägen werden. Zudem wird es eine abgestufte Bebauung geben. Gerade im Randbereich zu den bestehenden Siedlungsgebieten sind niedrigere Gebäudehöhen vorgesehen. Besonders betonen möchte ich aber, dass hier über den geförderten Wohnbau erschwingliche Wohnungen für die Wiener und die Floridsdorferinnen und Floridsdorfer entstehen.
Im Vergleich zu 100 Jahre alten Gemeindebauten fällt die heute wesentlich dichtere Verbauung auf: Können Projekte nur so finanziert und umgesetzt werden?
Jedes Projekt muss wirtschaftlich so geplant sein, dass es auch bei günstigen Mieten refinanziert werden kann. Trotz höherer Dichte legen wir aber höchstes Augenmerk auf eine möglichst offene Bebauung sowie ausreichend Grün- und Freiflächen.
Wie weit sind die Pläne im Donaufeld gediehen? Gibt es einen fixen Baustart für Phase 1 und ist der projektierte „Grünkeil“ fix?
Die Flächenwidmung für das angesprochene Gebiet befindet sich noch in Ausarbeitung. Die Vorlage der neuen Plandokumente an den Gemeinderat ist für 2017 vorgesehen. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Planungen ist die Sicherstellung der notwendigen Grün- und Erholungsflächen.
Das Gesamt-Projekt Donaufeld ist von seiner Dimension nur circa ein Drittel kleiner als die Seestadt Aspern, erfährt aber nicht ansatzweise eine vergleichbare Aufmerksamkeit (keine U-Bahn, etc). Woran liegt das?
Die Seestadt Aspern nimmt in der Stadtplanung Wiens einen besonderen Stellenwert ein. Es entsteht hier ein gänzlich neuer Stadtteil mit einem urbanen Gesamtkonzept, das viele Funktionen beinhaltet. Das Donaufeld muss für sich keine Zentrumsfunktion erfüllen.
Das Leitbild sieht vor, zwischen den Bezirkszentren Floridsdorf und Kagran ein „Ereignisband“ zu knüpfen, in dem wichtige Einrichtungen der Versorgung sowie Freizeit- und Bildungsangebote wie etwa ein Schulcampus angesiedelt werden.
Auch die abweichenden Zeitpläne und Projektstände sind ausschlaggebend, dass die mediale Präsenz sich auf die Seestadt konzentriert. In der Seestadt ist die erste Realisierungsphase bereits abgeschlossen und inzwischen leben rund 6.000 Bewohnerinnen und Bewohner in dem neuen Stadtteil.