Trauer um das Hotel Karolinenhof

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Bild: Jordan.
Bild: Jordan.

Gastkommentar: Ein Nachruf von Gerhard Jordan auf das traditionsreiche Hotel Karolinenhof in Jedlesee.

Generationen von Floridsdorfern war das traditionsreiche Hotel Karolinenhof in Jedlesee ein Begriff. Nur wenige, die jetzt dort vorbeigehen und den Trümmerhaufen des abgerissenen Gebäudes sehen, lässt sein trauriges Schicksal kalt. Im Jahr 1881 kam Franz „I.“ Nahrada (1861-1935) aus Südböhmen in das heutige Floridsdorf und arbeitete als Schmied bei der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn. 1904 gründete er gemeinsam mit seiner Frau, dem Dienstmädchen Karoline (geb. Proks) eine Gastwirtschaft in der Schulzgasse 9.

1912/13 kam es zur Errichtung des Nachfolgebaus in der Jedleseer Straße 75/Ecke Bellgasse, das er nach seiner Ehefrau „Karolinenhof“ benannte. Der Entwurf stammte von Franz Aubrecht, einem der Vertreter des sogenannten „Baumeister-Jugendstils“ der Spätgründerzeit in Floridsdorf. Von ihm gibt es im 21. Bezirk eine große Anzahl von späthistoristischen Wohnhäusern, oft mit secessionistischem Dekor, die von 1910 bis 1914 entstanden, z.B. Anton-Dengler-Gasse 11, Anton-Störck-Gasse 57, Baumergasse 57, Brünner Straße 76-78, Deublergasse 32, Jedleseer Straße 102, Leopoldauer Platz 33, Peter-Kaiser-Gasse 8 und 15, Schöpfleuthnergasse 18 oder Shuttleworthstraße 5.

1914: Feuerwehrübung vor dem Karolinenhof. Bild: Nahrada.
1914: Feuerwehrübung vor dem Karolinenhof. Bild: Nahrada.

Zunächst war das Gebäude eigentlich eine Gastwirtschaft mit Zinshaus – mit lediglich drei Hotelzimmern, der Rest waren Mietwohnungen. Erst später wurde es zum Hotel. Bewegte Geschichte Der „Karolinenhof“ wurde zum Treffpunkt der tschechischsprachigen (sozialdemokratischen) Arbeiterschaft, aber auch von Fahrradklubs. Auch Angehörige von Soldaten, die in dem großen Barackenlager gegenüber stationiert waren, besuchten es gerne.

Angestelle des Karolinenhofs mit Franz "I." Nahrada, dem Urgroßvater des letzten Besitzers im Jahr 1913.. Bild: Nahrada.
Angestelle des Karolinenhofs mit Franz „I.“ Nahrada, dem Urgroßvater des letzten Besitzers im Jahr 1913.. Bild: Nahrada.

Der Gründer – Urgroßvater des letzten Besitzers – rechnete früh damit, dass sich städtebaulich in dieser Gegend noch Bedeutendes tun würde. Die Errichtung der „Gartenstadt“ (der heutige „Karl-Seitz-Hof“) mit fast 1.200 Wohnungen durch die Gemeinde Wien in den Jahren 1926-33 gab ihm Recht und sorgte für einen Aufschwung des Betriebes. 1944 wurde ein Teil des Gebäudes bei einem Bombenangriff zerstört, doch bereits 1948 war es wieder Treffpunkt von Vereinen, es gab einen Gastgarten und eine Kegelbahn, auch ein Espresso entstand.

Um 1960 wurde das Haus zur Gänze zum Hotel umgebaut. Unter Franz „III.“ Nahrada (1924-2000), der sich auch in der Wirtschaftskammer engagierte und großes Ansehen auch über Parteigrenzen hinweg genoss, wurde um 1970 der Dachboden in ein drittes Geschoß umgewandelt. Das Hotel wurde zu einem Ziel für Bus-Tourismus. Im dem Lokal an der Straßenecke befanden sich nacheinander u.a. eine Postfiliale, ein Supermarkt und eine Bank, zuletzt ein Frisiersalon.

1981 wurde in dem Gasthaus das „Erste Floridsdorfer Literaturcafé“ gegründet, in dem Jörg Mauthe, Andreas Okopenko und andere bekannte Autoren lasen. Leider scheiterten in den letzten Jahren alle Versuche, den Gastronomiebetrieb dauerhaft aufrecht zu erhalten. Noch in den 1990er-Jahren war das Hotel erweitert worden und diente Geschäftsreisenden als Quartier.​ Franz „IV.“ Nahrada (geboren 1954), der gemeinsam mit seiner Schwester Waltraud Jank das Hotel nach dem Tod seines Vaters übernahm, hatte neben einer Hotellerie-Lehre auch ein Soziologie-Studium absolviert und sich schon früh mit Online-Kommunikation beschäftigt.

1987 veranlasste er die Einführung des Computerbetriebs im Hotel. Mitte der 1990er-Jahre nützte er einen Aufenthalt in den USA zum Studium neuer Technologien, Wohn- und Lebensformen. Jahrelang war er im Bezirkteil als „Vernetzer“ aktiv und interessierte sich für dörfliche und naturnahe Lebensräume: er initiierte Gespräche zur Gründung eines Einkaufsstraßenvereins in Jedlesee, war 2003 an der Entwicklung der Idee des „Beethoven-Wegs“ (der 2007 eröffnet wurde) beteiligt, gründete 2006 den Verein „Schnittpunkt Jedlesee“ und versuchte auf www.dorfwiki.org eine Online-Community zu schaffen, organisierte „Global Village“-Veranstaltungen.

Hotel Karolinenhof vor wenigen Wochen. Bild: Jordan.
Hotel Karolinenhof vor wenigen Wochen. Bild: Jordan.
Franz Nahrada mit Gerhard Jordan im Hotel Karolinenhof zu „besseren Zeiten”. Bild: Jordan.
Franz Nahrada mit Gerhard Jordan im Hotel Karolinenhof zu „besseren Zeiten”. Bild: Jordan.

Das Hotel Karolinenhof fungierte als Treffpunkt, immer wieder fanden auch Seminare mit internationaler Beteiligung statt. Mit dem Hotel verschwindet also nicht nur ein Teil der Floridsdorfer Geschichte und des Architektur-Erbes, sondern auch ein Treffpunkt, der immer wieder Impulse für Jedlesee und die Umgebung gegeben hat. Es handelte sich, wie auch beim Hotel Berger in der Brünner Straße 126, das 2016 abgerissen wurde, um einen der wenigen Familienbetriebe. Gertrude Nahrada, Witwe von Franz „III.“, die 2015 im 86. Lebensjahr verstarb, half noch bis zu ihrem Tod in der Rezeption aus.

Das Ende Für das Ende des Hotels war nicht Geldgier oder Spekulation verantwortlich, wie bei vielen Abrissen historisch wertvoller Gebäude, sondern die Familie Nahrada versuchte jahrelang trotz großer Schwierigkeiten den Betrieb aufrecht zu erhalten. Letztendlich waren es wirtschaftliche Gründe, die den Ausschlag gaben. Neben drückenden Auflagen und neben der Unflexibilität bzw. Nicht-Bereitschaft von Behörden, auf Alternativen zur Sicherung des Standorts einzugehen, war es vor allem die Ansiedlung einer Vierstern-Hotelkette im Bezirkszentrum, die ab 2011 den finanziell schwächeren Familienbetrieben den Garaus machte.

Der im Mai 2018, fünf Jahre nach dem „100. Geburtstag“, erfolgte Abriss des Gebäudes ist eine Zäsur, auch wenn nun auf dem Standort 44 frei finanzierte Eigentumswohnungen entstehen. Die Funktion als Treff- und Schnittpunkt können sie leider nicht ersetzen.​​​ Wenn nun – neben ehrlicher Trauer – auch „Krokodilstränen“ vergossen werden von einigen, die dem Hotel in der Krise nicht geholfen haben, dann sei daran erinnert, dass wir alle bei unserem Konsumverhalten immer wieder hinterfragen sollten, ob wir dabei auch lokale, alternative, nachhaltig wirtschaftende oder als Familienbetrieb geführte kleinere Unternehmen unterstützen. Diese werden immer weniger, aber es gibt sie noch …

Abschiedsfoto der Belegschaft. Bild: Berger.
Abschiedsfoto der Belegschaft. Bild: Berger.

Gerhard Jordan ist Historiker und Bezirksrat der Grünen in Floridsdorf.