Neues Buch des Floridsdorfers Matthias Marschik erzählt die Geschichte des Überschwemmungsgebiets.
Überschwemmungsgebiet. Für viele Wiener ein Begriff, der heißgeliebte Erinnerungen an die Kindheit oder Jugend wachruft. Der Floridsdorfer Autor Matthias Marschik hat dem offiziell Inundationsgebiet genannten Streifen links der Donau mit seinem neuen Buch ‘Die Donauwiese’ ein Denkmal gesetzt.
‘Ein verschwundenes Wahrzeichen’ nennt der Autor jenen 474,5 Meter breiten Streifen der über 100 Jahre das Freizeitparadies vieler Wiener war. Für die jüngeren Leser: Wir sprechen vom Gebiet der heutigen Donauinsel, Neuen Donau und Donauuferautobahn. Entstanden war es 1875 im Zuge der Donauregulierung, als neben dem Donaubett ein Wiesenstreifen angelegt wurde, der bei Hochwasser die zusätzlichen Wassermassen aufnehmen sollte. So entstanden der heutige Donaulauf, die Alte Donau (einst der Hauptarm) und viele, teils verschwundene, Nebenarme wie die einst wilde Schwarze Lacke. Meist mehrmals jährlich wurden die Wiesen überschwemmt, im Winter staute sich das Eis. Um die Nutzung für die restliche Zeit, hatten sich die Eigentümer, nämlich die Wiener und die damals noch eigenständigen Floridsdorfer, rasch selbst gekümmert.
Marschik: „Sie gingen dort wandern, baden oder im Winter Eislaufen, fuhren Rad, ließen Drachen steigen und spielten Fußball. Sie labten sich an mitgebrachten Speisen oder – wer es sich leisten konnte – bei den zahlreichen Schutzhütten. Die stehenden, zum Teil mit der Donau verbundenen Gewässer waren als hervorragende Fischreviere bekannt. Ebenso galt das Gebiet wegen der zahlreichen Hasen, Fasane und Rebhühner als Niederwildrevier. Abends und nachts wurde die Donauwiese zum erotischen und gefährlichen Ort. Hier wurden nicht nur Kinder gezeugt, sondern auch Selbstmorde verübt, sie war ein Ort für Prostitution und Verbrechen, für Alkoholismus und Schleichhandel.” Marschik (Bild) , Historiker und Kulturwissenschafter, spannt über mehrere inhaltliche und zeitliche Abschnitte einen spannenden Bogen. Das Inundationsgebiet war in seiner Jedleseer Kindheit und Jugend sein „Abenteuerspielplatz“, auch wenn es die Eltern nicht wissen durften. Heute lebt er in der Schwarzlackenau.
Bis zur Fertigstellung der Neuen Donau im Jahr 1987 wurde das Überschwemmungsgebiet zu einem Wiener Wahrzeichen. Im 2. Weltkrieg hatten die Nazis große Ausbaupläne, nur ein kleiner Teil, Ölhafen und Freudenau, wurden letztlich Realität. Ein paar Jahre später veranstalteten die sowjetischen Besatzer gut besuchte Tombolas, auch wenn als Hauptgewinn nur ein Paar Schuhe winkte. 1956 wurden Tausende Ungarnflüchtlinge kurzfristig in einer Zeltstadt auf der Donauwiese versorgt, zwölf Jahre später Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei. Zu Beginn der 1970er-Jahre fanden dort etliche Gastarbeiterfeste statt.
Eine weitere frühe Epsiode aus dem 20. Jahrhundert: Einige wenige Jahre war die Donauwiese das Mekka der Flieger. „Das Überschwemmungsgebiet ist die Wiege der Aviatik in Wien: Auf der Donauwiese nahe Kaisermühlen startete im Mai 1909 zum ersten Mal in Wien ein Mensch mit einer Flugmaschine. Wegen der holprigen Piste verweigerte der französische Pilot Georges Legagneux anfangs zwar den Start, als die aus zehntausenden Zahlenden bestehende schaulustige Menge jedoch eine drohende Haltung einnahm, absolvierte er einen kurzen Versuch. Einige Beobachter waren überzeugt, er sei kurz geflogen, die anderen beklagten, das Flugzeug habe überhaupt nicht abgehoben.”, erzählt Marschik. Erst 1973 wurde der Betrieb des Segelflughafens (heute Höhe Segelzentrum) eingestellt.
Was das Buch so besonders macht: Das profunde Wissen des Autors. Und die vielen großartigen Bilder, die Marschik in mühevoller Kleinarbeit zusammengetragen hat. Es sind nicht die bekannten Postkarten, sondern teils unbekannte, private Schnappschüsse. Absolute Pflichtlektüre!
Die Donauwiese. Das Inundationsgebiet – Ein verschwundenes Wiener Wahrzeichen. Von Matthias Marschik. € 21,90. ISBN 978-3-9504625-8-6. Erhältlich im Buchhandel. Infos: www.edition-wh.at