Historischer Spaziergang im Floridsdorfer Bezirkszentrum

3208
Gerhard Jordan (links) und DFZ-Chefredakteur Hannes Neumayer. Bild: Vodicka
Gerhard Jordan (links) und DFZ-Chefredakteur Hannes Neumayer. Bild: Vodicka
Stein

Vielen Floridsdorfern ist es wohl gar nicht bewusst: Meist hetzen wir gestresst über den „Spitz“, Blick für die großartigen Gebäude bleibt da kaum. Der lohnt sich aber: Die FLORIDSDORFER ZEITUNG unternimmt mit Historiker Mag. Gerhard Jordan einen historischen  Spaziergang durch unser Bezirkszentrum.

Gerhard Jordan (links) und DFZ-Chefredakteur Hannes Neumayer. Bild: Vodicka
Gerhard Jordan (links) und DFZ-Chefredakteur Hannes Neumayer. Bild: Vodicka

Los geht es standesgemäß vor dem Amtshaus (1): Bis 1901 stand hier ein Einkehrwirtshaus, das bis zum heutigen „Bettenreiter“ reichte. Der Bürgermeister hatte ein kleines Kammerl im Wirtshaus, wo heute die Straßenbahn fährt übte die Feuerwehr, später war dort der Bauernmarkt. 1903 war der von den Architekten-Brüdern Drexler geplante Bau um circa 900.000 Kronen fertiggestellt und fungierte zwei Jahre als Rathaus der niederösterreichischen Groß-Gemeinde Floridsdorf. Dann wurde der Ort, statt Hauptstadt von Niederösterreich, 1904/05 zum 21. Bezirk Wiens. Mehr zur Geschichte des Dorfs Floridsdorf: Floridsdorf: Vom Dorf zum Bezirk!

Übrigens: Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, Wien reichsunmittelbar zu machen und so vom Kronland Österreich unter der Enns abzutrennen. Für diesen Fall sah Kielmansegg Floridsdorf als Hauptstadt Niederösterreichs vor.[

Fresko im Amtshaus. BILD: DFZ
Fresko im Amtshaus. BILD: DFZ

Noch ohne Stammersdorf und Strebersdorf, dafür mit weiten Teilen des heutigen 22. Bezirks. Inklusive 52-Meter-Uhrturm, der nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr aufgebaut wurde. Ein Blick lohnt sich auch in das Innere: „Gleich links finden Sie das Relief von Bildhauer Georg Leisek, das die letzte Sitzung des Floridsdorfer Gemeinderates vor der Eingemeindung nach Wien zeigt“, erzählt Jordan.

Jugendstil-Innenhof. Bild: Vodicka
Jugendstil-Innenhof. Bild: Vodicka

Am Spitz 9 (Ecke zur Floridsdorfer Hauptstraße) ist eines der älteren Gebäude, aus den 1830ern (2): herausragend ist der um 1900 im Jugendstil von Architekt Friedrich Dietz von Weidenberg, einem Otto-Wagner-Schüler, erbaute Hoftrakt. Im hinteren Teil ist ein alter Garten, der sich heute noch auf dem Niveau eines alten Donaunebenarms befindet.

Hauswappen. Bild: Vodicka
Hauswappen. Bild: Vodicka

Übrigens: Die Schwaigergasse entspricht in etwa dem Verlauf eines Seitenarms der Donau. Und gleich oberhalb des Eingangstores ist das Wappen des Hauses angebracht: Ein kleines Einhorn. Leider von einer Werbung verdeckt ist der rechte Teil der Fassade.

Sparkassen-Gebäude. Bild: Vodicka
Sparkassen-Gebäude. Bild: Vodicka

1894/95 wurde das „grüne“ Sparkassengebäude Am Spitz 11 errichtet. Die Figur am Dach zeigt einen „Landsmann – bzw. knecht“, früher Mitglied einer polizeiähnlichen Truppe zur Bewachung des Ortes. (3)

"Landsknecht". Bild: Vodicka
„Landsknecht“. Bild: Vodicka
Sild-Haus. Bild: Vodicka
Sild-Haus. Bild: Vodicka

Am Spitz 13 ist eines der herausragendsten Gebäude im Bezirk. Das „Sild-Haus“ (4) wurde 1905-08 von Dietz von Weidenberg für Conrad Sild errichtet. Die Weltkugeln am Dach symbolisieren die „weltumspannende Bedeutung des Handelshauses“.

Weltkugel am Sild-Haus. Bild: Vodicka
Weltkugel am Sild-Haus. Bild: Vodicka

„Das Giebelrelief mit Löwen und Palmen unterstreicht, wie weit die Handelsbeziehungen des Handelshauses gereicht haben. Die neben dem Giebel befindlichen Lorbeerkränze und die bunten Kacheln zeigen den Otto-Wagner-Einfluss“, so Jordan. Die Familie Sild hatte über 200 Jahre ein Kaufhaus in Floridsdorf, auch der AGM-Sild gehört dazu.

Bettenreiter. Bild: Vodicka
Bettenreiter. Bild: Vodicka

Links und rechts des „orangen Bettenreiters“ wurden die Häuser Am Spitz 15 & 17 um 1905 gespiegelt gebaut. Sie beherbergten früher das Textilgeschäft Lanzy, Kent, das Fotoatelier Preim, eine Dusika-Filiale, den Kleider-Pollak und die Gunsam-Filiale mit original Jugendstil-Einrichtung.

Der „Reiter“ (5) war bis 1938 das legendäre Modekaufhaus Wodicka, danach Konsum und Forum. Jordan: „Ab 1938 wurden gerade um den Spitz viele jüdische Geschäfte unter den Nazis arisiert, eben auch jenes von Ignaz Wodicka oder das Kleider-Etablissement Sinai gegenüber im Lehndorfer Hof.“

Holzmann. Bild: Vodicka
Holzmann. Bild: Vodicka

Ums Eck lohnt sich ein Abstecher in den legendären Holzmann (Brünnerstraße 11). Gegründet 1860, stammt das heutige Gebäude von 1937. Schauen Sie rein, kaufen Sie einen einzelnen Nagel – so einen „Laden“ können Sie in ganz Wien kaum noch sehen.

Holzmann innen: Bild Vodicka
Holzmann innen: Bild Vodicka

Gleich gegenüber weist Jordan auf ein Beispiel seines Steckenpferdes „Kunst am Bau“ auf der Brünnerstraße 6 hin (7): „2012 habe ich zu dem Thema eine Ausstellung kuratiert. Leider konnten wir damals nicht herausfinden, wer dieses Mosaikwandbild geschaffen hat.“

Mosaikwandbild. Bild: Vodicka.
Mosaikwandbild. Bild: Vodicka.
Kirche. Bild: Vodicka
Kirche. Bild: Vodicka

Am Ende unseres historischen Spaziergangs erreichen wir den Pius Parsch-Platz, der bald neu & autofrei gestaltet wird. Die heutige St. Josefskirche wurde von 1936 – 1938 schräg hinter die alte Jakobskirche auf einem Teil des ersten Floridsdorfer Friedhofs gebaut. 1938/39 standen sogar beide Kirchen, dann wurde die über 100 Jahre alte Jakobskirche abgerissen. Im Durchgang von der Promenade zur Zaunscherbgasse zeigt ein Mosaik die alte Kirche (8).
Text: Hannes Neumayer
Fotos: Fotostudio Vodicka

BUCHTIPPS ZUR BEZIRKSGESCHICHTE:
Der Klassiker unter den Floridsdorfer Heimatbüchern ist „der Smital“ von 1903 – leider nur antiquarisch oder als Nachdruck erhältlich.

Ebenso die zwei Bücher des CBV-Verlages: „Wien XXI. Floridsdorf“, „Floridsdorf 1945. Ein Beitrag zur Zeitgeschichte“.

Franz Polly hat eine ganze Serie seiner „Floridsdorfer Spaziergänge“ (rechts) geschrieben, Restexemplare sind im Bezirksmuseum erhältlich.