Totgesagte leben länger. Dieser Spruch könnte für unseren Schlingermarkt erfunden worden sein. Vor fünf Jahren nur noch spärlich besucht und eher schlecht beleumundet gibt es am Floridsdorfer Markt mittlerweile einen echten Boom. Neue Standler, neues Konzept sorgen für einen Mix aus Alt und Neu, der Jung und Alt begeistert. Das belegen auch die Besucherzahlen. Ein Rundgang am lebendigen Schlingermarkt.
Der Weg war kein leichter und auch radikal: In der Bezirksvertretung wurde ein Leitbild 2030 beschlossen. Dazu wird auch nach und nach die mittlere Marktreihe entfernt und vor allem Freitag und Samstag der Platz mit den Bauernstandlern aufgefüllt und zu einem quirligen Markt. Die vom Marktamt beschlossenen fixen Marktzeiten trafen einige Alt-Standler besonders hart, sind aber für Kunden definitiv ein Gewinn. Das Leitbild macht sich mittlerweile auch beim Erscheinungsbild bemerkbar: Im hinteren Bereich ist ein offener freundlicher zusätzlicher Marktplatz entstanden – inklusive historisch rekonstruiertem Brunnen.
Am ,Cool Spot’ lässt es sich gemütlich verweilen, an der Brünner Straße weist eine große Werbetafel Richtung Markt, die Schleifgasse wird zur verbindenden Promenade vom Bahnhof zum Markt, viele Stände wurden neu hergerichtet und das Marktamt hat in Erhaltungsmaßnahmen investiert. „Dass hier so etwas Ähnliches wie eine Renaissance beginnen könnte, schien undenkbar“, konstatierte Florian Holzer im – für Floridsdorf Jubel-Meldungen sonst unverdächtigen – Falter unlängst.
Unseren Rundgang beginnen wir am kleinen Platz mit der Bücherzelle. Yusuf Isufovs Obst- und Gemüse-Stand ist eines der Beispiele für die Veränderung: War der Vorgängerstand für seine Pseudo-Öffnung mit Plastikvorhang berüchtigt, ist Isufovs Auslage eine Augenweide. Von Früchten über Gemüse oder Nüssen gibt es hier alles – und natürlich die beliebten Marchsteiner Produkte wie eingelegte Fisolen oder Sauerkraut. Wer es gern nostalgisch hat: Isufov serviert saure Gurken frisch aus dem Fass!
Dafür, dass schräg vis a vis auch ungarisch gesprochen wird, sind Sidonie und Juliano verantwortlich: In ,Little Hungarry’ bieten die beiden neben ungarischen Produkten auch originalen Langos in diversen Ausführungen an: Knoblauch, Debri, Pute, Toast, Käsekrainer und Chili – ganz puristisch ohne allem (ab 2,50 €) oder mit Nutella! Und ganz aktuell ,snow cone‘.
Wer weiter spaziert, kommt an ,Mookhey’ (nicht) vorbei. Er betreibt das, was Wiener – als Kompliment gemeint – als Fetzenstandl bezeichnen. Auf 25 m2 gibt es Hosen, Leiberl, Kleider und Jacken. Schlicht all das, was das Herz in Sachen Textilien begehrt – zu ausgesprochen vernünftigen Preisen.
Ein paar Meter weiter ist die weithin bekannte ,Brana’ daheim. 30 Jahre ist sie als Verkäuferin hier und hat vor fünf Jahren den Nemec-Stand ,Wild & Geflügel’ übernommen. In Sachen Wild gibt es derzeit Maibock und im Herbst wieder Reh, Fasan, Hase oder Hirsch. Legendär sind die Grillhendel und selbstgemachten Salate, aber auch Pferdeleberkäse nach Schuller-Art gibt es hier. Dazu später mehr.
Ist Brana die Hendl-Queen, ist ihr Landsmann Danijel Jankovic gleich daneben der Karpfenkönig. Karpfen, Wels, Forelle aus Österreich bietet der begeisterte Angler: „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht.“ Bei beiden kann man übrigens im Schanigarten (beim Karpfenkönig auch im Lokal) Brathendl oder gebackenen Fisch essen. Beides ist eine absolute Redaktionsempfehlung.
Wesentlich zum Aufschwung am einzig verbliebenen fixen Markt auf unserer Seite der Donau haben Regina Schweighofer und Norbert Miehl mit ihrer ‘Blumenecke’ beigetragen. Stand und Geschäft sind immer ein optischer Genuss, die handgemachten floralen Kreationen haben zu Recht unzählige Fans. Für einen blumigen Balkon empfehlen die beiden Pelargonien und Lantana, die sind besonders hitzebeständig und pflegeleicht. Das Engagement der beiden für das Markt-Grätzel ist, egal ob als Osterhase oder Nikolo, vorbildlich. Der Kurier bezeichnete ,den Norbert‘ unlängst als ,Der gute Geist vom Schlingermarkt‘.
Im nächsten Gang gibt es ausschließlich alte ,Markt-Hasen’. Zunächst kommt Daniel Ivanov mit seinen reich gedeckten Obst- und Gemüse-Auslagen. Von heimischen Erdbeeren und Kirschen bis zu verschiedenen Paradeisern oder Spargel gibt es hier eine unglaubliche Auswahl. Alles handverlesen von Daniel und Simona, die dafür jeden Tag um 2 Uhr Früh aufstehen – um ab 7 Uhr ihre Kunden am Markt und viele Restaurants perfekt zu versorgen.
Wer noch nicht in Brigitte Lackstätters Reich war, hat etwas verpasst. Ihr Geschirr-Stand hat nur wenige Quadratmeter, bietet darauf aber 10.000 Produkte. Von Ausstechformen, Besen, Bürsten, Pfannen und Email-Töpfen über Drahtsprudler und Rührboy bis zu „Schneeballenform und der Spagatkrapfenzange, dem Beerenpflücker, dem Passierholz oder einer feinsten Eprouvettenbürste“. Und es gibt einen Schleifdienst für Schere, Rasenmäher, etc..
Nicht viel mehr Platz hat Andreas Traxler. Seit 20 Jahren versorgt er seine Kunden am Schlingermarkt auf einem Viertel-Eck mit Schmankerl von Schwein, Rind, Lamm und Kalb wie Burgunder-Schinken oder diverse Steaks wie T-Bone, Toma-Hawk oder Flanksteak. Die Feinzerlegung macht Traxler selbst, wenn er nicht gerade anderen den Marsch bläst. Denn privat ist die Tuba in der Musikkapelle Gerasdorf sein größtes Hobby. Dort hat übrigens Frau Traxler als Kapellmeisterin das Sagen.
Auch die Firma Gumprecht betreibt einen der Traditionsstände am Schlingermarkt. Neben den Gusto-Bäckereien gibt es hier vor allem auch den Pferdeleberkäse nach Schuller-Rezeptur, der speziell in Floridsdorf viele Fans hat. Margarete Gumprecht: „Wir sind ,Der Leberkäs’ Spezialist.“
Im Parallelgang versorgt die Fleischerei Lukajic seit 2010 die treue Kundschaft aus Nah und Fern mit hausgemachten Ćevapčići, Grillwürsteln, Gselchtem, Grammeln, etc.. Oder Sremska – in der harmlosen und in einer scharfen Variante. Die meisten Waren kommen vom Fröschl in Rappottenstein.
Im Weinviertel produziert auch die Fleischerei Wild aus Gaweinstal. „Unsere Wurstwaren produzieren wir selbst nach traditionellen Rezepturen“, so der Chef. Für ,Griller‘ gibt es Würsteln von Chilli, Käsegriller, Berner, Bratwürstel oder Ferdi’s pfeffriger
Käsegriller und Dry-Aged Steaks.
Was den Schlingermarkt 2023 ausmacht, ist der Mix aus eingesessenen und neuen Standlern, aus Traditionskunden und ,Frischgfangtn’. „Hier triffst Du Floridsdorfer Ur-Gesteine, aber auch Bobos“, bringt es Norbert Miel auf den Punkt. Nirgends wird das so deutlich, wie wenn man aus den Marktgassen heraus den neuen offenen Bereich des Marktes betritt:
Die Pizzeria Lievito 48 von Giulia & Valerio Bendinelli sorgt mittlerweile wien-weit für Furore und ist eines der Highlights am Markt in Floridsdorf. Die echte neapolitanische Pizza – der Teig ruht 48 Stunden, daher der Name – erfreut sich großer Beliebtheit. Der Schanigarten ist bei schönem Wetter meist kurz nach dem Aufsperren Punkt 12 Uhr gerammelt voll. Pizza auch zum Abholen & Liefern.
Gleich daneben sorgt die ,Kaffeerösterin‘ Johanna Wechselberger mit ihrem kleinen Joey’s Cafe für viel Freude. Und das, obwohl bis jetzt nur als Pop-up eröffnet. Espresso gibt es um ,italienische‘ 1,80 Euro, kleine Süssigkeiten stammen von der Patisserie Marischka. In der Floridsdorfer Hauptstraße betreibt die gebürtige Floridsdorferin die ,Vienna School of Coffee‘, im Joey’s gibt es eine großartige Auswahl an selbst-importiertem Kaffee für daheim und eine herausragende Beratung. Die bunte Gästeschar beweist: Ein typischer Bobo-Stand funktioniert in Floridsdorf hervorragend!
„Das führt nun zu einer recht bemerkenswerten Mischkulanz aus alteingesessenen und neu dazugekommenen Standlern aus veritablen Hipster- und den hier unvermeidlichen Trankler-Hütten, “ urteilt der Falter. Und bald haben wir am Schlingermarkt eine echte Kulinarik-Promenade: Denn ein noch leerer Stand neben Joey’s wird von der Spaghetteria il Mercato bezogen und gegenüber soll es – noch im Juni – ein italienisches Eisgeschäft geben.
Besonders erfreulich ist, dass der Aufschwung eindeutig auf die Qualität der angebotenen Waren zurückzuführen ist. Ein Blick auf die Google-Bewertungen zeigt: Die Kunden geben den Ständen am Floridsdorfer Markt die Spitzennoten 4,9 oder gar 5.
Besonders an den Bauernmarkt-Tagen Freitag und Samstag kommt echtes Markt-Flair auf. Und auch hier zeigt sich die Entwicklung: An den beiden Tagen kommen locker doppelt so viele Standler als vor fünf Jahren. Mittlerweile bieten drei Stände Käseprodukte an, zwei Fisch, mehrere Obst-Gemüse und Eigenprodukte wie Marmelade und Säfte, es gibt Kräuter, Wurst, Gebäck, Honig und Mehlspeisen. Von echten Markt-Urgesteinen wie Frau Hofer („Vor über 60 Jahren habe ich die Hochzeitsreise zum Arbeiten am Schlingermarkt verbracht!“) bis zu hippen Verkäufern – auch hier ist die Palette breit gefächert. Und wer Powidl-Buchteln will, muss sich an schönen Tagen am Mehlspeisenstand schon mal hinten anstellen – so groß ist der Andrang!
Wer den Schlingermarkt erstmals besucht, sollte seinen Rundgang auf das Markt-Grätzel, speziell auf die beiden Gemeindebauten – Schlingerhof und Lötsch-Hof – ausweiten. In den Arkaden verkauft Wolfgang Friedl in seiner Wiener Gewürz-Manufaktur BenCondito 40 verschiedene Mono-Gewürze und als Spezialität 20 unterschiedliche Salze: Meeressalz, Steinsalz, Flusssalz, Seesalz, Hawaiisalz. Wenige Meter weiter gibt es im Flokistl lokale Produkte und Schuster Viktor Bulanij hat für fast alle Fälle eine Lösung. Es gibt ein Atelier und ein Kultur-Zentrum, im ehemaligen Groß-Espresso ist heute die Gebietsbetreuung beheimatet. Im Durchgang zur Brünner Straße locken Russische Delikatessen sogar den Bürgermeister zu einem Besuch. Und weniger als eine Minute entfernt können Besucher zwischen einem guten Buch in der Bücherei im ehemaligen Weisselbad, einem Tattoo bei Erich oder in der Likörstube – einem der letzten Wiener Branntweiner – wählen … -Hannes Neumayer